ERIKA POST: AUFBRÜCHE
(Laudatio zur Ausstellung im Dormitorium Asbeck am 06. September 2015)
"Aufbrüche" nennt Frau Post, die Künstlerin, die heute im Fokus steht, ihre Ausstellung hier im Dormitorium zu Asbeck. Einige ausgewählte Aufbrüche will ich Ihnen näher zu bringen versuchen und tue dies in drei Anläufen:
1. einem persönlichen Aufbruch;
2. einem handwerklichen Aufbruch und
3. einem künstlerischen Aufbruch,
(die natürlich alle zusammen hängen) und
4. einer Nebenbemerkung, Konzeptionen betreffend.
Ich beginne, wie üblich, mit 1.
Der Begriff Aufbruch in seiner Mehrzahl und in all seiner Lakonie ist für sie selbst und ihr Werk in mehrfacher Weise charakteristisch. Ein Aufbruch aus ihrem vorigen Leben, so möchte ich es nennen, war ihr Aufbruch in das Kunsthandwerk und von da aus in die Kunst. Dieser Weg zur Kunst bedeutete auch eine lange Inkubationszeit durch zu stehen, mit Verlusten, aber eben auch mit Gewinn, und zwar sowohl für sie selbst, wie auch für die Kunst, wie auch besonders für Westfalen, denn einer ihrer Aufbrüche führte sie aus der Rheinschiene (Leverkusen) ins Münsterland, wo sie heute in der Bauerschaft Rockel in Rosendahl lebt und arbeitet.
Nach ihrem vorigen Leben war ihr bald klar, ausgehend von einem Töpferkurs, dass ihre Arbeit neben einer intellektuellen, be-geist-ernden, immer auch eine physische, haptische, mit den Händen zu greifende und gestaltende Komponente haben sollte. Und das lange vor dem Besuch einer Kunstschule oder –akademie. Auch dort, in den Jahren 2000 – 2004, bekam sie viele Anregungen und Hinweise, unter anderem den, dass das Gute oft einfach ist, eine Vorstellung, die gelegentlich mit ihrem bis heute ungebrochenen Streben nach Perfektion kollidierte und auch zu weiteren Aufbrüchen führte und, so ist zu hoffen, auch noch führen wird.
So blieb Frau Post also trotz ihrer Treue zum Werkstoff Ton in andauernden Aufbrüchen. Sie experimentierte mit dem Material, entwickelte Mixturen, die bis heute nur sie kennt und die ihr deswegen und wegen ihrer eigenen Formensprache, dies sei erwähnt, 2013 den Skulpturenpreis Münster Nord einbrachten. In dieser, ihrer eigenwilligen, Formensprache spielen Aufbrüche ebenfalls eine große Rolle.
Bei 2. angekommen sei die Frage gestellt, was das eigentlich für ein Metier ist, in dem sie so brilliert?
Ihre Werke gehören unter das Rubrum/die Rubrik Plastik, die sich (ich zitiere) "in körperlichen Formen und durch Dreidimensionalität verwirklicht" (Seemann Hg, Lexikon der Kunst, Bd. 5 , Art. Plastik), wobei die Form von innen nach außen sich gestaltet, nicht, wie bei der Skulptur, von außen nach innen. Durch das verwendete Material, Ton, griechisch keramos, also Keramik, stellt sie sich in eine Tradition, die mit den frühesten kulturellen Äußerungen des sesshaft gewordenen Menschen begann und die seit dem 5. Jahrhundert vor unserer Zeit eine kontinuierliche und noch immer in Aufbrüchen befindliche Entwicklung durchläuft (vgl. Seemann Hg., Lexikon der Kunst, vol. 3, 711 f. Art. Keramik).
Die nahezu intime Kenntnis ihres Arbeitsmaterials, das sie mit ihrer Hände Arbeit formt, gibt ihr aber durch seine Konsistenz, durch sein Verhalten vor, während und nach dem Brennvorgang auch heute noch gelegentlich überraschende Rückmeldungen, auf die reagiert werden muss. Daraus ergeben sich wiederum mögliche Aufbrüche ins Neue.
Die eigenwillige Farbigkeit, die ihr Ton zeigt, entsteht durch Zugaben von Eisen- und Kupferoxid und führt am Ende eines Gestaltungsprozesses zu dem Ergebnis, das wir hier und heute sehen können: Objekte, die wie rostige aussehen, aber ganz aus Ton sind.
Damit sind wir bei 3. angelangt und werfen jetzt einige von der Kunstwissenschaft inspirierte Blicke auf Frau Posts Werke.
Die von ihr entwickelte Formensprache wird nämlich nicht nur durch den Umgang mit ihrem Material geprägt, sondern sie basiert auf zwei Grundelementen, die sicher oft und zu Recht für Gegenpole, ja geradezu Unvereinbarkeiten gehalten werden: reine geometrische, also etwa Kugeln und Würfel oder Rechtecke und organische Formen, also pflanzliche oder tierische Elemente.
Schaut man sich die Formen näher an, die der gefallenen Würfel, der mutierten Kugeln, so kann dem Betrachter klar werden, dass rein Geometrisches durch Aufbrüche Metamorphosen durchläuft. Wobei dann etwa aus Kugeln "Dino-Eier" werden, um eine Formulierung von Frau Post wörtlich zu zitieren, eine Art organischer Urprungsform, "Ursprung", wie die Objekte dann auch konsequent heißen.
Andere Aufbrüche, die wir in dieser ebenso spannenden wie entspannenden Präsentation sehen können, heißen z.B. "Dialog" und würden sich zu einem Ganzen fügen, wären sie nicht aufgebrochen.
An Würfeln und Rechtecken, den mit Dialog und Quader bezeichneten Werkgruppen, lässt sich ein weiteres Arbeitsprinzip von Frau Post erkennen. Sie arbeitet, so möchte ich mit vorsichtiger Annäherung sagen, mit Wiederholungen.
Oberflächlich betrachtet widerspricht vielleicht der Gedanke der Wiederholung der romantisierenden Idee von der Einzigartigkeit des Kunstwerks. Wirft man jedoch einen etwas genaueren Blick in die Kunstgeschichte, wird man Wiederholungskunst, die die Kunstwissenschaft heute als künstlerische Serie bzw. Serialisierung bezeichnet, schon als Arbeitsprinzip seit frühchristlicher Zeit auffinden können (z.B. Florenz Kirche S. Apollinare Nuovo, Mosaiken, vgl. M. Krahe, Serie und System, Essen 1999, 10). Auch Monet mit den Kathedralen von Rouen und, uns geografisch näher liegend, der Bottroper Josef Albers mit der Sequenz ‚Ehrung an das Quadrat’ sowie Picasso, übrigens auch mit keramischen Arbeiten, nutzen das Prinzip, das also nicht erst seit Andy Warhol in der Kunst be- und anerkannt, sondern auch in der Gegenwart von großer Bedeutung ist, wie ich aktuell ergänzen kann. Gibt es doch im Rahmen der Ruhr-Triennale in der Kunstsammlung der Ruhr-Universität Bochum eine Ausstellung mit dem Thema „Serialisierungen in der Kunst seit den 1960er Jahren unter dem Titel: "Gleich und Gleich und Gleich und Anders".
Die künstlerische Serie ist ein hochkomplexes Phänomen künstlerischer Arbeit, das eben auch Erika Post mit ihren vielen Aufbrüchen variiert. Der Kunsttheoretiker Gottfried Boehm erklärt in seinem Text mit dem Titel „Werk und Serie" (1988) das Prinzip so: „Die Substanz des einzigen Werks verwandelt sich in die Struktur einer Serie, deren Glieder durch Wiederholung verbunden sind." Der ebenso eminente Romancier wie Semiotiker Umberto Eco ergänzt diese Sicht, indem er Serialität und Variabilität verschwistert (U. Eco, Das offene Kunstwerk (Opera Aperta), 128f.; ders. Einf. In die Semiotik (La struttura assente) 179f. ) und dies als einen Ausgangspunkt künstlerischer Kreativität markiert.
Genau dies, meine Damen und Herren, so möchte ich von meiner Seite ergänzen, findet sich in den Werkgruppen von Erika Post gespiegelt, reflektiert, und es ergänzt das Zusammenspiel von Künstlerin und Arbeitsmaterial in kongenialer Weise.
So bekommen ihre Werke eine strukturelle Dichte und einen Grad von Authentizität, die den Betrachter faszinieren. Lassen doch Sie sich auch beim Betrachten der Werke davon einfangen.
Und damit zu 4. und zum Ende noch ein paar Worte zum Aufbau dieser Ausstellung:
Wie Frau Post ihre Werke im historischen Asbecker Ambiente platziert, macht dem Betrachter klar, dass mit dem Erarbeiten der Werke für Frau Post der künstlerische Prozess längst nicht abgeschlossen ist. Sie bricht sozusagen immer neu in ihre Ausstellungsumgebungen auf.
Die „Spiralen" an der Südseite des Kirchengebäudes, wie auch die übrigen Arbeiten an der Außenwand der Kirche, entwickeln im Zusammenspiel mit ihrer Umgebung eine Wirkung, die Sehgewohnheiten (zumindest die der alteingesessenen Asbecker) aufbricht und im gleichen Prozess neue Harmonien schafft und Verweisungen (z. B. auf den Kirchturm) erreicht.
Aber nicht nur im Außenbereich gibt es starke Wirkungen. Denn sowohl im Zusammenspiel mit dem altehrwürdigen Gemäuer, in dem wir uns hier befinden, als auch mit dem modernen Mehrzweckraum gegenüber, entfalten die Arrangements der Künstlerin außerordentliche Wirkungen, von denen Sie sich nun, meine Damen und Herren, selbst überzeugen können.
Dabei viel Vergnügen und vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Reinhold Hülsewiesche