Einheit der Gegensätze
(Katalogtext zum Katalog "'Aufbrüche", Kettler-Verlag, Juni 2010)
Erika Posts künstlerisches Interesse und Schaffen ist von einer konzeptionellen Intention geprägt, Material und Form in einen prozesshaften Widerspruch treten zu lassen, beide in sich und miteinander in ein Spiel der Gegensätze zu verwickeln und trotzdem eine Einheit der Differenzen im einzelnen Werk zu intendieren.
Erika Posts plastische Arbeiten legen ihre Materialität auf den ersten Blick nicht offen: Schamottierter Ton, teilweise mit Eisenoxid versetzt und mit Kupferoxid patiniert, wirkt eher wie Stahl oder Eisen, in mattstumpfer Monochromie mit Rost überzogen. Fehlende Farbigkeit steigert die Intensität. Mit dieser Beschränkung vermeidet und umgeht die Künstlerin bewusst die materialästhetischen Versuchungen, die im Besonderen dem Werkstoff Keramik innewohnen. Erst die Nähe der Betrachtung oder eine Berührung bringt Erkenntnis: Der spröde, raue Stoff ist Ton. Zweischichtigkeit und Mehrdimensionalität des künstlerischen Konzeptes offenbaren sich bereits in diesem bewussten Verfremdungsmoment und der Beschränkung.
Erika Post geht es um die sachliche und stringente Verwirklichung eines Konzeptes, das als Einheit der Gegensätze beschrieben werden kann. Die Oberflächen der Arbeiten weisen kaum den Duktus der künstlerischen Hand auf. Sie erscheinen perfekt geglättet, in konstruktiver Schärfe und Kantigkeit, oder brüchig und rissig, scheinbar organischen, natürlichen Verfallsprozessen ausgesetzt. Sie kontrastieren, indem sie sich öffnen, aufbrechen oder verschlossen und glatt bleiben. Eines entwickelt oder schält sich aus dem Anderen, gleich Häutungen oder Metamorphosen. Es entsteht ein spannungsvoller, komplementärer Dialog, der auch Aussagen über das Material, das aus der Erde kommt, zum Ausdruck bringt. Stabilität und Festigkeit stehen Fragilität und Weichheit gegenüber. Naturgegebene Strukturen begegnen Materialerfahrungen aus Industrie oder Architektur.
Erika Posts Skulpturen und Plastiken entstehen aus geometrischen Grundformen: Kubus, Quadrat, Rechteck, Bogen oder Kugel. Innerhalb dieser Formen vollzieht sich, gleich einem Kräftemessen, das Zusammenwirken und Aufeinandertreffen sich grundsätzlich ausschließender gegensätzlicher Prozesse. Resultat ist eine Synthese aus Perfektion und Zerstörung. Das innere zeitliche Moment der Skulpturen offenbart sich in Stabilität und Labilität. Die geschlossene, scharfkantige Form des Würfels trägt das Gegenteil der Verformung in sich. Der Kreis zerbricht in Einzelbögen. In geschlossenem Rund löst er sich von Innen nach Außen auf oder schließt sich in umgekehrter Richtung von Außen nach Innen. Das Eine wird zur Ursache des Anderen - im Wechselspiel der Kräfte, in unauflöslicher Komplexität von These und Antithese.
Neben ihrer inneren Bewegtheit erschließen sich die Skulpturen in Bewegung und Distanz als dreidimensionale Körper im Raum. Es ergeben sich Durchblicke, die den Außenraum einschließen, das Objekt in Segmente unterteilen. Raum wird folglich akzentuiert und dynamisiert. Innerhalb der Binnenstruktur verändern sich Linien und Brüche der Oberflächen durch Licht und Schatten, aber auch durch veränderte Blickwinkel. Auch hier vollzieht Erika Post konsequent ihr künstlerisches Konzept: Was immer erscheint, erscheint aus der Differenz. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Werkreihe „Einsicht“. Geschlossene Kreisformen suggerieren zunächst ein In-sich-Ruhen sowie eine gewisse Autonomie der Skulptur in Bezug auf den Umraum, den sie ausschließt. Doch die ruhende Statik wird durch Auflösungsprozesse im Inneren aufgebrochen, in dynamische Bewegung verwandelt.
Formfindung und Zerstörung dominieren die Arbeiten Erika Posts. Der Betrachter ist einer Suggestion der Einheit und deren gleichzeitig einhergehender Verweigerung ausgesetzt. Ein Dilemma entsteht, das das innere Bewegungsmoment der Skulpturen auf den Betrachter überträgt. Diese Irritation führt zu überraschenden Entdeckungen, da die Skulpturen nicht nur visuell erfahrbar werden, sondern auch assoziative Impulse vermitteln.
Jutta Meyer zu Riemsloh M.A. , Kunstverein Münsterland